Der arabische Frühling- ein Frühling der Frauen?
Die erste bedeutende Protestwelle gegen den ägyptischen Machthaber Mubarak begann im Jahr 2006 – und wurde von Frauen eingeleitet. So starteten Textilarbeiterinnen in der Fabrik Mahalla eine Streikwelle, um für bessere Löhne zu kämpfen und bewegten ihre männlichen Kollegen dazu, sich an den Protesten zu beteiligen.
Seitdem kämpfen Frauen in den arabischen Ländern an vorderster Front für Freiheit und für ihre Rechte, sei es auf dem Tahir-Platz in Ägypten, der Habib-Bourghiba-Allee in Tunesien oder auf dem Platz der Märtyrer in Lybien. Sie haben zusammen mit den Männern erfolgreich für einen demokratischen Neuanfang gekämpft. Doch hat sich die Situation der Frauen mit Beginn des arabischen Frühlings verbessert?
Zurzeit häufen sich Berichte über die sexuelle Belästigung von Frauen an öffentlichen Plätzen, sowohl in Ägypten als auch in Lybien. Nach Informationen von Human Rights Watch wurden seit den jüngsten Protestwellen in Kairo, mehr als 90 schwere Übergriffe an Frauen gemeldet. Die Täter sind meist in Banden organisiert, trennen die Frauen von männlichen Begleitern begrabschen sie und bringen sie an abgelegene Orte. Einige der Opfer wurden mit Metallrohren und Eisenketten verprügelt oder mit Messern angegriffen. Wenn ihnen jemand zur Hilfe eilen möchte, werden diese auch zusammengeschlagen oder beschimpft. Die Polizei ist seit dem Zusammenbruch des Polizeistaats im Jahr 2011 bei größeren Demonstrationen, wie auf dem Tahir Platz, nicht mehr anwesend. Die Täter wissen, dass sie nach einer Vergewaltigung ungestraft bleiben.
Wenn Frauen doch bei der Polizei Hilfe suchen, werden sie ein zweites Mal traumatisiert. Nach einer Vergewaltigung ist es Routine, die Jungfräulichkeit der Frauen zu prüfen. Desweiteren wird den Frauen vorgeworfen, sie seien selbst an den Übergriffen Schuld, wenn sie sich in solche gefährlichen Situationen begäben. Menschenrechtsorganisationen vermuten sogar, dass die Regierung Übergriffe auf Frauen bewusst organisiert hat, um sie von den Protesten fernzuhalten. Frauen sollen nicht demonstrieren, sondern zu Hause bei ihren Familien und Ehemännern bleiben, so lautet die Botschaft.
Auch die politische Situation der Frauen hat sich seit den Protesten nicht verbessert. In Ägypten ist seit Oktober 2012 der islamische Sender Maria TV auf Sendung, der Frauen ausschließlich verschleiert zeigt. In Tunesien wird diskutiert, ob in die neue Verfassung aufgenommen werden soll, dass Frauen und Männer „einander ergänzen“. Die ägyptische Muslimbruderschaft hält Gleichberechtigung nur für zulässig, solange diese den Richtlinien der Scharia nicht widerspricht. In Syrien, Jordanien und dem Libanon können sich Vergewaltiger immer noch durch die Heirat ihrer Opfer einer Bestrafung entziehen.
Das sich die Rechte von Frauen nach einer Revolution zunächst verschlechtern, ist laut Soziologen und Soziologinnen kein Phänomen des arabischen Frühlings. Als Reaktion auf die anhaltende Gewalterfahrung und die Militarisierung der Gesellschaft werde häufig auf überholte Rollenmuster zurückgegriffen. Frauen werden gezielt in ein Abhängigkeitsverhältnis oder in althergebrachte Rollen gedrängt.
Doch die Revolution hat das Selbstbewusstsein vieler Frauen gestärkt. Sie haben unglaublichen Mut bewiesen und unter Gefahr des eigenen Lebens demonstriert, ohne Familie oder Ehemänner um Erlaubnis zu bitten. Das hat zu einer Veränderung des Frauenbildes in der Gesellschaft beigetragen. Es gibt inzwischen ein Bewusstsein für das Problem und eine öffentliche Diskussion über die Rechte von Frauen ist entstanden. Entscheidend ist jetzt, dass Frauen auch auf politischer Ebene einen direkten Einfluss auf die Mitgestaltung der neuen Regierungen haben. Dieses Ziel liegt jedoch in den meisten arabischen Staaten…. in weiter Ferne.